Über den Mehrwert wirklich guter Eignungsdiagnostik

Über den Mehrwert wirklich guter Eignungsdiagnostik

05.10.2021

Wie erkennt man, wie motiviert und teamorientiert jemand ist? Hat nicht jede halbwegs erfahrene Führungskraft im Bewerbungsgespräch ein gutes Gespür für die Passung des Kandidaten zu Team und Aufgabe?

in Memoriam Prof. Heinz Schuler, ein großer fachlicher Mentor und persönliches Vorbild an Humor und Leichtigkeit.


Wir bei RELEVANT arbeiten mit unserem Kernteam sowie mit einem engen Kreis ausgewählter Berater:innen in Kundenprojekten zusammen. Mit Gastbeiträgen von unseren Kolleg:innen wie diesem möchten wir gern die Diversität, Freude und Kompetenz in der Leistungserbringung unseres erweiterten Teams zum Ausdruck bringen.

Von Dr. Marco Behrmann, Tübingen


Wie erkennt man, wie motiviert und teamorientiert jemand ist? Hat nicht jede halbwegs erfahrene Führungskraft im Bewerbungsgespräch ein gutes Gespür für die Passung des Kandidaten zu Team und Aufgabe? Investitionen in Personalauswahl und ein Budget für Diagnostik im Bewerbungsgespräch oder zusätzliche Assessments bei Personalentscheidungen werden oft gekürzt oder gar nicht erst bewilligt. Ein Fehler, der nicht selten ein Vielfaches an Mehrkosten verursacht.

Prof. Heinz Schuler, der als Begründer der Personalpsychologie im deutschsprachigen Raum gilt, setzte sich zeitlebens dafür ein, den Mehrwert wirklich guter Eignungsdiagnostik zu erklären. Sein Credo: Potenziale, die gehoben werden können und Kosten, die vermieden werden können, sind immens. Doch mangelt es den personalpsychologischen Experten oft an einfachen Worten, Formulierungen und Erfolgsgeschichten, um die gut gemachte, komplexe und komplizierte Wissenschaft kompakt, einfach und überzeugend im Business zu installieren. In Interviews resümierte er mitunter: „[Ich] teile die positive Einschätzung [von] Robert Hogan und Brent Roberts: Psychologische Diagnostik ist der Hauptbeitrag der Psychologie in unserem Alltagsleben. Denn Eignungsdiagnostik ist nicht nur da, um Unternehmen zu einer besseren Personalauswahl und damit zu mehr Rendite zu verhelfen, sondern auch, um den Menschen mehr Glück, Erfüllung und Lebenserfolg zu bringen“ (Schwertfeger, 2021). Heinz Schuler ist am 3. August 2021 im Alter von 76 Jahren verstorben. Seine Botschaft soll weiter hallen.

Nutzen = Effekt – Aufwand

Der Mehrwert der Personalauswahl lässt sich auf die einfache Formel bringen: Der Nutzen ist Differenz von Effekt und Aufwand. Und er lässt sich in Unternehmenskennzahlen beziffern, ja kann sogar zu selbst einem KPI werden.
Zum möglichen Nutzen zählen Produktivitätsgewinne, Zeitersparnis, Arbeitsklima, Mitarbeiterzufriedenheit, Einarbeitungsgeschwindigkeit, Innovationstempo, Umsatz und andere – abhängig vom Tätigkeitsfeld des jeweiligen Jobs, um den es geht. Die Größe des Effekts bei der Personalentscheidung hängt maßgeblich von der Qualität des genutzten diagnostischen Instruments ab. Bauchentscheidungen zählen dazu ebenso wie Assessment Center, Bewerbungsinterviews und Persönlichkeitstests. Für jedes Instrument lassen sich Effektgrößen messen, erfassen oder mindestens abschätzen. Die Bauchentscheidung ist günstiger, aber weniger präzise und erfolgreich. Intuition ist selten konsistent. Argumente gegen systematischere Instrumente sind oft Kosten, Zeit und Personaleinsatz auf der Aufwandsseite. Übrigens sind neben der Akzeptanz auch genau dieses die Argumente gegen den Einsatz passgenauer Assessments. Das führt dann dazu, dass der Effekt manchmal sogar negativ ist, wenn sich Personalauswahl verschleppt, Teamleitern allein überlassen wird oder an falschen Kriterien orientiert (vgl. Görlich & Schuler, 2014).

Bei einer Personalentscheidung gilt, Anforderungen, Kompetenzen und Einstellungen in Passung zu bringen – und dabei die Anforderung im Blick zu halten. Immerhin müssen Potenziale für die Zukunft und strategische Innovationsfelder möglich bleiben. Schauen wir dazu ein Beispiel aus unserer Erfahrung an und machen wir das mal ohne Zahlen. Es zeigt, wie auch mit guter Absicht Fehler passieren können und mit wie wenig Aufwand eine stimmige und oft sogar schnellere Lösung für Unternehmen und Menschen erzielt werden kann.

Fallbeispiel: Das fehlende Team-Mitglied

Im Quality-Team eines IT-Chip-Herstellers war einige Monate lang eine Stelle vakant. Die Führungskraft verantwortete die Personalauswahl. Neben Auswahl nach Bewerbungsunterlagen führte der Teamleiter Bewerbungsgespräche nach eigener Erfahrung und Intuition. Es gab einige Bewerber. Immer mal wieder wurde auch ein Bewerber dem Team vorgestellt, das das letzte Wort in der Auswahlentscheidung hatte. Kein Bewerber, keine Bewerberin schien zu passen. Nebenbei bemerkt: So werden vermutlich die allermeisten offenen Stellen in Unternehmen besetzt, das Vorgehen ist nicht unüblich.

Die Führungskraft stand mit dem Qualitäts-Team intern stark unter Druck, weil Testung und Freigabe durch die Abteilung die Engstellen waren, bevor neue Produkte auf den Markt gehen konnten. Die offene Stelle hatte in der Tat bereits zu Produktions-, Innovations- und Lieferverzögerungen für die Firma geführt. Bei bestimmten Produkten entstanden dadurch für bestimmte High-Tech-Geräte Probleme in der globalen Lieferkette. Erste Großkunden begannen zu reklamieren. Das Team war deutlich im Visier des Top-Managements.

Teamentwicklung mit Vakanz

Gleichzeitig plante der Teamleiter für und mit dem Team einen Teamworkshop, um sich besser kennenzulernen und zur Weiterentwicklung des Teams. An dem Teamtag bearbeitete das Team deshalb auch einen Persönlichkeitstest. Ergebnis war, dass im Team insbesondere Harmonieorientierung und Qualitätsfokus deutlich vertreten waren – zwei gute Eigenschaften für Teamarbeit und für Hauptaufgabe der Abteilung, nämlich Qualitäts-Prüfung.

Als der Teamleiter im Workshop mit dem Trainer reflektierte, wofür er und sein Team in der Organisation in den vergangenen Monaten in der Kritik gestanden hatten, kam der Augenöffner. Das Time-to-Market-Ziel der vollen Produkt-Pipeline war bisher an der Quality-Abteilung gescheitert. Geschwindigkeit, Mut und Handlungsausrichtung wurden deutlich angemahnt. Bisher hatte der Teamleiter immer mit der nicht besetzten Stelle argumentiert, für die sich der richtige Kandidat noch nicht gefunden hatte. Allerdings ging ihm nun auf, dass er und sein Team genau solche Bewerber abgelehnt hatten, die dynamisch, durchsetzungsstark und ambitioniert waren. Aus Teamsicht waren solche Bewerber eher Konfliktherde gewesen. Die Suche nach sympathischen neuen Kollegen hatte dazu geführt, dass das Team selbst eine Kompetenzlücke verursacht und verschleppt hatte. Kompetenz und Sympathie gehören bei der Personalauswahl zusammen. Diversität kann aber eine notwendige Ergänzung sein, um Schwächen oder Lernbedarfe im Team zu balancieren.

Die Führungskraft ist der emotionale Flaschenhals im Team

Die Führungskraft ist dabei die Schlüsselperson für den Team-Prozess. Der unternehmerische Blick dafür, was das Team braucht, erfordert den Mut, sich selbst und das Team herauszufordern. Oft werden „Decisions by Hippo“ (Hippo = „Highest Paid Person Opinion“) in Organisationen nicht hinterfragt. Daneben kann man von Teammitgliedern je nach Arbeits- und Führungskultur per Auftrag auch nicht erwarten, ebenso strategisch oder unternehmerisches Bewusstsein zu tragen wie die Führungskraft.

Die Führungskraft muss also das Team befähigen können und wollen, Diversität zuzulassen, abzurufen und zu nutzen. Und genau dafür muss die Führungskraft einen klaren Blick für die Realität haben und sich selbst auch eigener Potenziale, Präferenzen und Risiken bewusst sein. Im Teamkontext wird oft nur auf Sympathie geschaut, wenn Persönlichkeit besprochen wird. Business-Fokus hat da nicht jeder auf dem Zettel. Wenige Führungskräfte nutzen eine Teamentwicklung systemisch zum Einsatz relevanter Assessments. Eine Analyse der Persönlichkeiten im Team hat nämlich gleich dreifache Bedeutung für Führung, Zusammenarbeit und Business:

  1. Selektion (z. B. Vergegenwärtigen und Definieren von Kompetenzen, Passung, Stärken, Lernthemen),
  2. Team-Passung (Verteilung von Eigenschaften, Einsatzplanung, Vergleich zum Mandat, Diversität) und
  3. Entwicklung (Zielorientierung, bewusstes Handeln, Kontrolle von Reflexen und Gewohnheiten, Lernen).

Das Investment eines solchen Einsatzes von Assessments zur Auswahl, Platzierung und Entwicklung von Teammitgliedern und Führungskräften lässt sich leicht dem Nutzen gegenüberstellen. Das Beispiel des Quality-Teams zeigt, wie Performance-Probleme oft hausgemacht sind und für Unternehmen sogar den Verlust von Marktpräsenz, Wettbewerbsvorteilen und Kunden zur Folge haben können.

Passung und Potenzial mit Ecken und Kanten im Job austarieren

Warum wird es oft nicht systematisch gemacht? Die kurze Antwort ist: Weil es in der Regel keine Kontrollgruppe gibt. Effekte und entgangener Nutzen wie Opportunitätskosten lassen sich oft nur abschätzen. Das ist ein gutes Argument, allerdings keine gute Ausrede. Denn genau zum Abschätzen der Qualität von Assessments für den jeweiligen Einsatz stellen Anbieter Kennzahlen zu Messgenauigkeit und Prognosegüte bereit. Die Hogan Leadership Assessments beispielsweise dokumentieren nicht nur hohe Zusammenhänge mit beruflichem Erfolg in unterschiedlichen Anforderungssituationen, sondern auch die Wirkung auf andere in der Zusammenarbeit (vgl. Studienüberblick in den Hogan Technical Manuals 2007, 2009, 2010).

Es lohnt sich also, bei Personalauswahl und -entwicklung genau hinzuschauen und Entscheidungen mehrstufig mit mehr Instrumenten untermauert zu treffen (Prinzip der Multimodalität, Schuler & Schmitt, 1987). Und natürlich ist auch die eine professionelle Anwendung des Assessments und eine stimmige Einbettung in relevante Personalprozesse wichtig. Das ist Teil der sozialen Validität, die Heinz Schuler für wertschätzende und qualitätsbewusste Personaldiagnostik forderte (Schuler & Stehle, 1983). Der Anspruch an Qualität, Relevanz und Fairness ist also längst formuliert. Und er ist auch in stimmig definierte Anforderungskriterien an Verfahren, Anbieter und Anwender von Personaldiagnostik eingeflossen (DIN, 2002; ISO, 2011).

Denn bei wirklich guter Eignungsdiagnostik handelt es sich nicht um etwas Triviales. Auch wenn es manchmal so einfach aussieht.

Wir bei RELEVANT setzen Hogan Assessments bereits jahrelang tagtäglich in der Auswahl und Entwicklung von Menschen, Teams und Organisationen ein. Hogan ist der weltweit führende Anbieter von forschungsbasierten Assessment-Lösungen. RELEVANT hilft Unternehmen mit dem Einsatz der Hogan Persönlichkeitsdiagnostik, Fluktuation zu reduzieren und Produktivität zu erhöhen, indem die richtigen Menschen eingestellt, wichtige Talente gefördert und Führungspotenzial identifiziert wird. Sprecht uns an. Wir sind nur eine E-Mail oder einen Anruf entfernt.

We know people. We care for your business. We provide solutions.

Quellen:

Deutsches Institut für Normung e.V. (2002). DIN 33430 – Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen. Berlin: Beuth Verlag.
Görlich, Y. & Schuler, H. (2014): Personalentscheidung, Nutzen und Fairness. In: Heinz Schuler & Uwe Peter Kanning (Hrsg.) Lehrbuch der Personalpsychologie, 3. Aufl. (S. 1137-1200). Göttingen: Hogrefe
Hogan, R. & Hogan, J. (2009): Hogan Development Survey Manual. Tulsa: Hogan Assessment Systems.
Hogan, R. & Hogan, J. (2007): Hogan Personality Inventory Manual. Tulsa: Hogan Assessment Systems.
Hogan, R. & Hogan, J. (2010): Motives, Values, Preferences Inventory Manual. Tulsa: Hogan Assessment Systems.
International Organization for Standardization (2011). ISO 10667-1:2011. Assessment service delivery. Procedures and methods to assess people in work and organizational settings. Part 1: Requirements for the client. Genf: International Organization for Standardization.
International Organization for Standardization (2011). ISO 10667-2:2011. Assessment service delivery. Procedures and methods to assess people in work and organizational settings. Part 2: Requirements for service providers. Genf: International Organization for Standardization.
Roberts, B. W., & Hogan, R. (Eds.). (2001). Personality Psychology in the Workplace. Washington, D.C.: American Psychological Association.
Schuler, H. & Schmitt, N. (1987). Multimodale Messung in der Personalpsychologie. Diagnostica, 33 (3), 259-271.
Schuler, H. & Stehle, W. (1983). Neuere Entwicklungen des Assessment-Center-Ansatzes beurteilt unter dem Aspekt der sozialen Validität. Psychologie und Praxis 27(1), 33-44.
Schwertfeger, B. (2021): Den Menschen mehr Glück bringen. Wirtschaftspsychologie heute [09-2021]. https://www.wirtschaftspsychologie-heute.de/zum-tod-von-professor-schuler-den-menschen-mehr-glueck-bringen/